Zwei linke Hände und ein Wasserhahn

Mein Lieblingshandwerk ist das Zusammenbauen von Buchstaben zu Wörtern und Sätzen. Für alles andere habe ich zwei linke Hände. Als meine Mutter neulich den Zustand des Wasserhahns in unserem Bad bemängelte, seufzte ich. Sie hatte recht, das Sieb im Ausfluss war verkalkt, kleine Wasserstrahlen spritzten in mehrere Richtungen. Herr T. fand es unnötig, etwas zu unternehmen. Ich selbst hatte noch nie so ein Sieb entkalkt. Aber ich hatte schon zugeschaut und wusste, dass man so ein Ding sehr wohl auseinandernehmen kann – dass es aber schwierig sein könnte, es danach wieder richtig zusammenzusetzen. Ich zögerte und zögerte. Doch letzten Samstag hatte ich einfach keine Lust mehr auf Buchstaben und suchte nach einer einfachen, sinnhaften, handwerklichen Tätigkeit. Der Wasserhahn!

Ich schaute mir eine Anleitung in einem YouTube-Video an. Darin kam ein Schraubschlüssel zum Einsatz. Also versuchte ich einen solchen am Wasserhahn anzusetzen, aber der Ring war mit dem Werkzeug nicht zu greifen. Als ich den Ring genauer anschaute, entdeckte ich eine Rille in seiner Mitte. Ob man ihn mit einer Münze aufschrauben könnte? Portmonee geholt und einen Zweifränkler angesetzt. Es ging! Ich hatte die beste Laune seit Tagen.

Ich badete die Teilchen im Ring in Essigwasser und reinigte sie mit einer Zahnbürste. Anschrauben konnte ich das alles auch wieder. Seltsam ist nur: Er spritzt immer noch, wenn auch vielleicht ein bisschen weniger. Aber ich lasse das jetzt mal und komme zurück zu den Buchstaben.

Schweizerdeutsch 22: Nachhilfe für den Hamburger Kollegen

Znüni (N, n)

Wörtlich: „Zu neun Uhr“

Standarddeutsch: kleine Zwischenmahlzeit am Morgen, oft verbunden mit einer kurzen, geselligen Pause.

Erläuterung 1: Mein Gottenbub ist jetzt Zivi. Er arbeitet in einer Werkstätte für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung auf dem Land. Auch einen jungen Betreuer aus Hamburg hat es in die Institution verschlagen, berichtet Tim. „Er versteht Schweizerdeutsch. Was er aber gar nicht verstanden hat, ist das Wort Znüni. Dabei ist es so einfach. Funktioniert doch genau gleich wie Zvieri.“ Überhaupt heissen unsere Mahlzeiten: Zmorge, Znüni, Zmittag, Zvieri, auch Zobig, und Znacht.

Erläuterungen 2: Über das Znüni im Handwerksbetrieb singt die unvergessliche Band Stiller Has, hier geht’s zum Video.

An meine Zürcher Leserinnen

Zürcherinnen und Zürcher würden „schlüüsse“ sagen, schrieb ich in meinem letzten Beitrag über den Befehl einer Dentalhygienikerin – und nicht „schliesse“ wie wir in Luzern. Sofort bekam ich zwei liebenswürdige, aber bestimmte Rückmeldungen von Zürcherinnen aus meiner Leserschaft. Einhellig gaben sie mir zu verstehen: Nie und nimmer würde jemand in Zürich sagen, man solle den Mund „schlüüsse“. Auch dort würde man „zuemache“ oder „zuetue“ sagen.

Ich habe mich sehr über die beiden Kommentare gefreut – die friedvolle, gemeinsame Wahrheitssuche gehört zu den Dingen, denen wir im Blog noch frönen können, anders als in gewissen sozialen Medien.

Ich war aber auch verunsichert. Das Wort „schlüüsse“ glaubte ich von meinem Eheman, dem Kulturflaneur, zu kennen, der Züritüütsch spricht. Ich fragte bei ihm nach. Er schimpfte geradezu: „Nein, natürlich sagt beim Zahnarzt kein Mensch ’schlüüsse‘!“ Er räumte aber ein: „An einer Sitzung würde ich sagen: ‚Mier beschlüüssed das jetz!'“ Ok, ich habe verstanden. Ich hoffe, ihr auch. Sonst bitte melden.

Und noch etwas: Zum ersten Mal habe ich in meinem letzten Beitrag vage Ressentiments angesprochen, die wir in der Schweiz mitunter jenen gegenüber haben, die einen anderen Dialekt sprechen als wir. Als ich die beiden  Kommentare meiner Zürcher Leserinnen las, wurde mir wieder einmal klar, wie dumm das ist. Ich gelobe hiermit, in Zukunft um dieses Thema einen weiten Bogen zu machen.

Bei der Dentalhygienikerin

„Schl¨üüsse!“ sagt die Dentalhygienikerin. Ich mache gehorsam den Mund zu, aber ich bin befremdet. Wir sagen beim Zahnarzt nicht „schlüüsse“, sondern „zuemache!“* oder eben „uufmache!“** Mein früherer Zahnarzt, Dr. Schlosser, tat das unnachahmlich gelangweilt bei jeder Behandlung drei- bis fünfmal. Er muss in seinen Jahren in der Praxis jedes der beiden Wörter grob geschätzt 400’000mal ausgesprochen haben. Jetzt ist er pensioniert, ich vermisse ihn.

Ist die Dentalhygienikerin etwa Zürcherin? Die Zürcher sagen „schlüüsse“, und vor Zürchern sind wir in Luzern auf der Hut. Sie sind uns wirtschaftlich überlegen, deshalb haben wir oft Abwehrreflexe, wenn sie uns mit ihrem Dialekt auf den Leib rücken. Aber, nein, sie ist keine Zürcherin, sie spricht sonst wie ich.

Allerdings ist sie noch in Ausbildung. Wahrscheinlich hat sie den Befehl „schlüüsse!“ in der Berufsschule gelernt, oder er kommt aus dem Marketing. Wir haben uns daran gewöhnt, dass die  Gesundheitsbranche in der Werbung stets Peinlichkeit vermeiden will – und uns deshalb mitunter sprachliche Monstrositäten auftischt, die dann eben auch peinlich sind. In einem Fernsehspot für ein Zahnreinigungsprodukt etwa fiel das unerhörte Wort „de Mund“. Als ob man nicht einfach „s’Muul“ sagen dürfte, wie uns allen der Schnabel gewachsen ist. Der Neologismus erwies sich als nicht mehrheitsfähig und verschwand.

Bei der der Handarbeit ist die Dentalhygienikerin zum Glück viel subtiler als in der Sprache. Deshalb verbringe ich die ganze Stunde in ihrem Sessel ungestört damit, im Kopf diese Kolumne zu komponieren. Viel schneller als befürchtet stehe ich wieder auf der Schwelle der Praxis. Die Kolumne ist fast fertig gedacht, ich gehe vorwärts, nehme den Türknauf in die Hand und höre, wie Doktor Schlosser zu mir sagt: „Zuemache!“

*Zumachen, Mund schliessen, im Alltag meist „zuetue“
** Aufmachen, Mund öffnen, im Alltag auch „uuftue“

Schweizerdeutsch: Hausaufgaben mit Béla und Emil

Ich habe schon darüber nachgedacht, Hörproben für meine Schweizerdeutsch-Lektiönli zu machen. Aber das wäre aufwändig geworden, und aufwändig herzustellen sollen diese Lektiönli eben nicht sein. Also keine Hörproben. Obwohl die meisten von Euch gar nicht wissen, wie Luzerndeutsch klingt. Damit Ihr Euch das – gewissermassen im Selbststudium – mal anhören könnt, poste ich heute ein paar Links zu Luzerndeutsch gesprochenen YouTube-Videos.

Béla Rothenbühler (Quelle: Verlag der gesunde Menschenversand).

Aktuell und cool: Béla Rothenbühler. Dieser hat es mit seinem zweiten Luzerndeutschen Roman „Polyphon pervers“ 2024 auf die Shortlist des Schweizer Buchpreises gebracht und spricht hier über das Buch. Im Film zeigt er auch gleich, dass man auf Schweizerdeutsch locker über Kultur spricht – was, soweit ich informiert bin – Dialekt Sprechende in Deutschland lieber auf Hochdeutsch tun.

Emil Steinberger (Quelle: Wikipedia)

Die älteren von Euch haben Nummern von Emil Steinberger** gehört, jenem Schweizer Comedian, der in den achtziger Jahren auch in Deutschland und Österreich Furore machte. In seinen Programmen für das nicht-schweizerische Publikum sprach er aber gar nicht Luzerndeutsch, sondern Standarddeutsch mit einem Schweizer Akzent, der mit das Ulkige an der Sache war. Wir fanden dann die Deutschen ulkig, oder vielmehr „zum Giggele“, die in die Schweiz kamen und dachten, wir würden hier so sprechen wie der Emil, den sie gehört hatten. Unser Emil aber klingt so; so; oder so.

*Hier habe ich schon über Béla Rothenbühlers ersten Roman geschrieben.
** Emil wuchs 200 Meter von der Stelle auf, wo ich gerade sitze. Wie es damals in unserem Quartier war, lässt sich hier nachlesen.

Schweizerdeutsch 18: Mutter erlebt das Kriegsende

E chliine Chnopf

Hochdeutsch: Ein kleiner Knopf

Erläuterungen 1: Bezeichnet ein vielleicht dreijähriges Kind, das gehen kann und manchmal vorlaut niedliche Dinge sagt.

Erläuterungen 2: Am Sonntag war meine Mutter bei uns zu Besuch, zum ersten Mal seit Vaters Umzug ins Pflegeheim ist sie in Plauderlaune. „Über den Krieg weiss ich nicht mehr viel“, sagte sie, „ich habe ja Jahrgang 1942, damals war ich  ’soone chliine Chnopf‘. Ich erinnere mich, dass wir nachts die Fenster verdunkeln mussten. Wegen mögliches Luftangriffe.“ Sie wuchs weit hinten in einem der grossen Zentralschweizer Alpentäler auf. Niemand sollte glauben, der Zweite Weltkrieg habe die Schweiz nicht wenigstens berührt. „Eines Nachmittags war ich in der Küche am Drüüradvelölifahren – wir hatten so eine grosse Küche. Da kam Vati die Treppe hoch, und da wusste ich, dass der Krieg zu Ende war.“ Er war als Hilfsdienstler auf dem Flugplatz Meiringen stationiert gewesen.

 

Im Namen aller Mütterchen in Beige

In den Jahren zwischen 50 und 59 fühlte ich mich beinahe sicher vor den  ungebetenen Tipps irgendwelcher Lifestyle-Päpstinnen. Aber kaum rückt der 60. Geburtstag näher, diskutieren wir plötzlich über Longevity oder über die Frage: Was heisst gut altern?

Neulich las mir Herr T. eine Passage des Buches „Altern“ von Elke Heidenreich vor, die ich selbst gnädig überlesen hatte. Die 81-jährige Autorin schreibt: „Ich sehe um mich herum Frauen, die anders altern als ich, und manchmal, wenn nach Lesungen eine Frau beim signieren zu mir sagt: ‚Wir sind derselbe Jahrgang‘, und ich sehe hoch, und da steht ein zerknittertes Mütterchen in beigen Omaklamotten, dann denke ich: Nee, jetzt, oder? Das bin nicht ich.“*

Sofort empörte sich mein Herz für alle „Mütterchen in beige“, obwohl ich selbst kein einziges beiges Kleidungsstück besitze. Ich wurde richtig laut und sagte schliesslich das, was ich zu Fragen des Kleidungsstils schon mein ganzes Leben lang sage: „Jede und jeder lebt nach bestem Wissen und Gewissen sein bestmögliches Leben!“ Mit 59 Jahren Lebenserfahrung würde ich einräumen, dass es gierige und zynische Menschen gibt. Aber die erkennt auch die Lifestyle-Päpstin nicht unbedingt an der Farbe der Bekleidung.

*Elke Heidenreich: „Altern“, Hanser Berlin, 2024, S. 62. Um eins klarzustellen: Ich möchte keiner Person die Lektüre vergällen, die das Buch vielleicht bald lesen wird. Es stehen auch einige sehr gute Dinge drin!

Neujahrsvorsätze für’s Bloggen

Andere mögen ihre Vorsätze für 2025 schon wieder gebrochen haben. Ich schreibe sie erst jetzt auf, nämlich: Ich will mich hier, auf meiner Spielwiese, auf die Schweizerdeutsch-Lektiönli und kleine Geschichten über die Schwerhörigkeit konzentrieren. Und: Ich will mich kürzer fassen.

Wer längere Beiträge von mir sucht, sei auf den Blog journal-f.ch verwiesen, den ich mit meiner Kollegin, Frau Frei, unterhalte. An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Frau Frei, die dort mitschreibt, vor- und mitdenkt und dafür sorgt, dass alles tiptop aussieht.

Und: Ich will mehr Blogs lesen.

Ich habe bereits gemerkt, dass das alles nicht so leicht durchzuhalten ist, wie ich geglaubt habe. Oft schlafe ich schlecht, dann lasse ich dem rasenden Textgenerator in meinem Kopf freien Lauf. Gestern kam etwas Seltsames mit dem Magen dazu, und plötzlich war ich restlos erschöpft. Das hat die Frage aufgeworfen, ob ich im neuen Jahr nicht auch etwas mehr auf meine Gesundheit achten sollte. Man nennt das Zielkonflikt.

 

Schweizerdeutsch 12: Neujahrswunsch

 

Luzerner Altstadt, im Jahre 2024

Es guets Nöis

Oder, auf Hochdeutsch und diesmal: Ich wünsche allen, die ab und zu hier landen, ein heiteres, sorgloses Jahr 2025.

 

Über Gewissheiten

Nur dank einiger Gewissheiten hangeln wir uns mit Gelassenheit durch den Alltag. „Nein, Brustkrebs bekomme ich nicht!“, war für mich so eine Gewissheit. Ich hatte dann doch Brustkrebs, gelte jetzt aber als krebsfrei. Eine andere: „Ich höre zwar sehr schlecht, aber meine Augen sind tiptop!“ Dann kamen die Scharen von Mücken, Würmern und Staubflusen im linken Augenwinkel, ein ganzes Wochenende lang. Und schwarze und helle Blitzchen. Am Montag Panikbesuch beim Opthalmologen. Jetzt weiss ich: Die Schatten sind für mein Alter normal. Wenn es wieder blitzt, muss ich vielleicht nochmals zum Arzt. Aber wie eine Gewissheit fühlt sich das nicht an.

Im Lateinunterricht lernten wir: Mors certa est. Hora incerta. Der Tod ist uns gewiss. Aber nicht seine Stunde. „Ein Gemeinplatz“, dachte ich als Gymnasiastin. Aber jetzt sehe ich das anders. Jetzt frage ich mich, wie man lebt, wenn man sich von der Ungewissheit durch den Alltag leiten lässt.