Am Mittwoch, 14. Juni findet in den Schweizer Städten wieder ein Frauenstreik statt – pardon, ein „feministischer Streik“, wie es dieses Jahr heisst. Der dritte seit 1991, wenn ich richtig gezählt habe. Ich werde nicht daran teilnehmen, obwohl ich mich selbst als Feministin sehe und auch mit den Zielen der Kundgebung grundsätzlich einverstanden bin. Ich finde insbesondere, dass es bei den Frauenrenten Verbesserungen braucht. Ich schwänze die Aktion dieses Jahr trotzdem – weil ich eine Verabredung zum Wandern mit meinem alten Freund Chäppeli habe. Der einzige gemeinsame Termin, den wir vor der Sommerpause finden konnten. Ich habe mittwochs fast immer frei.
Ich möchte aber anmerken, dass ich Mühe mit der Gender-Politik der jungen feministischen Organisationen habe. Ich bin eine Frau, keine Flinta oder Flintaq (oder was immer für ein seltsamer Begriff als nächstes kommen wird). Mir ist zwar wohl bewusst, dass diejenigen, die sich bezüglich ihrer Geschlechteridentität nicht festlegen wollen, zum Teil harsche Diskriminierungen erleiden. Ich verurteile diese Diskriminierungen und bin solidarisch mit jede*r queeren Person, die für ein freies, glückliches Leben kämpft.
Aber man kann in meinen Augen keine Politik für Frauen machen, indem man den Begriff „Frau“ abschafft. Und: Im politischen Kampf für die Interessen von Frauen brauchen wir Mehrheiten. Diese finden wir bei anderen Frauen, und seien es jene der politischen Mitte. Es beginnt mit dem Wort „feministischer Streik“, das als Inklusionsgeste für Flintaqs gemeint ist, weil *man* das Wort „Frau“ ja nicht mehr gebrauchen darf. Wenn man mit dem Kampfbegriff „feministischer Streik“ aber bürgerliche Frauen ausschliesst, dann marginalisieren wir uns selbst, und das nützt dann auch den Flintaqs nichts. Ich weiss keine Lösung für das Problem, ich weiss nur: Das kann es nicht sein.
Als ich die Verabredung mit Chäppeli ausgerechnet am Frauenstreiktag traf, habe ich mich gefragt: Ist es richtig, eine politische Bewegung, in der ich mich beheimatet fühle, zu Gunsten alter Freundschaften zurückzustellen? Gerade jetzt, wo die Frauenbewegung meine Aufmerksamkeit braucht und ich wissen möchte, wo ich darin überhaupt stehe? Ich überlegte und kam zum Schluss: Nein, ich gehe wandern. Denn alte Freunde bleiben, wenn man richtig mit ihnen umgeht. Politische Bewegungen aber bewegen sich manchmal von einem weg, und man kann gar nichts dagegen tun.
Wieso bzw. inwiefern fühlst du dich davon ausgeschlossen? Ernst gemeinte Frage!
Genieße die Wanderung!🙂
Oh, ich glaube, das ist ein Missverständnis, Phoebe, daher danke, dass Du nachfragst. Ich fühle mich nicht ausgeschlossen. Ich bin ja keine bürgerliche Frau, sondern würde mich politisch eher links der Mitte einordnen. Ich wäre eigentlich geradezu die klassische Teilnehmerin des Frauenstreiks. Ich weiss vielmehr selbst nicht mehr, wo ich stehe: Ich teile viele Anliegen des Frauenstreiks und ich finde die Queer-Szene faszinierend und ihre Selbstinszenierung oft wunderschön, ein Fest der Vielfalt. Aber das ganze Genderdiskursgelaber à la Judith Butler fand ich schon vor 25 Jahren surreal. Und ich fühle mich seltsamerweise immer dann am meisten als Frau, wenn mir jemand weismachen will, dass ich jetzt eine Flinta bin.
Aber du hast das Gefühl, dass bürgerliche Frauen ausgeschlossen werden? Woran machst du das fest? Vielleicht sehe ich das zu naiv, aber etliche bürgerliche oder konservative (auch wieder so eine Frage des Labels 😉) Frauen in meinem Umfeld sind von sich aus so meilenweit von Feminismus und irgendwelchen Subszenen entfernt, als dass die sich ausgeschlossen fühlen könnten. Da braucht es noch ganz andere Ansatzpunkte, um da überhaupt mal ein Bewusstsein feministischer Art, wie zart das dann auch sein möge, zu erwecken.
Butler fand ich schon bahnbrechend, hab das aber auch nur in den Grundzügen rezipiert.
Nun ja, die beiden ersten Frauenstreiktage waren politisch breit abgestützt. An den Kundgebungen von 1991 und 2019 waren Hunderttausende von Frauen, auch viele aus dem politischen Mittelfeld, weil es eben sehr viele Missstände gab.
https://de.m.wikipedia.org/wiki/Frauenstreik_(Schweiz)
Bei uns im Geschäft gingen beim letzten Mal fast alle Frauen hin. Dieses Jahr haben die Mitte-Frauen explizit ihre Beteiligung abgesagt: https://www.luzernerzeitung.ch/schweiz/frauenstreik-es-bringt-nichts-wut-zu-schueren-das-macht-mich-haessig-das-streitgespraech-zum-frauenstreik-ld.2469883?reduced=true