Erinnerungen an meine Stadt: Das Kino Capitol

Ein historisches Bild des Kinos Capitol, ungefähr aus dem Jahre 1976. Die Leuchtreklame ist nicht mehr am gleichen Ort, sonst sieht heute vieles gleich aus. Nur hält der Mann im Vordergrund mit Sicherheit keinen Starbucks-Becher, sondern wahrscheinlich eine Zigarettenpackung. (Quelle: zentralplus.ch)

Am östlichen Ende des Cervelat-Palasts steht das Kino Capitol. Es ist das mittlerweile letzte Kino innerhalb der Stadtgrenzen für die Blockbuster aus Hollywood. Alle anderen Luzerner Multiplexe stehen heute in der Agglomeration, wohl wegen der Parkplätze. Das Kino Capitol aber steht an seinem Ort, seit ich mich erinnern kann. Es hat meine Vorstellung, wie ein Kino auszusehen hat, entscheidend geprägt. Aktuell im Programm unter anderem: „Napoleon“ und „Gran Turismo“.

Ich gehe davon aus, dass unsere Familien-Erinnerung an das Kino Capitol mehr als 80 Jahre zurückreicht. Denn meine Grosseltern Walholz selig haben es sehr wahrscheinlich in den frühen Jahren des Zweiten Weltkriegs ein paarmal aufgesucht. Sie lebten im nahen Bergkanton, in dem auch die Pilgerstätte unseres Nationalheiligen Bruder Klaus liegt. Das Paar war damals erst verlobt, und meine fromme Urgrossmutter liess ihre Tochter ungern am Sonntagnachmittag mit dem lebenslustigen Eugen losziehen. „Da haben wir dem Mueti jeweils einfach gesagt, wir würden zum Bruder Klaus pilgern. Und dann fuhren wir mit dem Velo nach Luzern ins Kino“, erzählte meine Grossmutter einmal. Auch wenn sie nicht erwähnte, welche Lichtspielhäuser sie damals aufsuchten – das „Capitol“ muss einfach dabei gewesen sein, es wurde 1932 eröffnet und war für lange Zeit ziemlich sicher der grösste Freizeitpalast der Stadt.

Mein erster Besuch im gleichen Etablissement war lebensprägend. Als ich sieben war, gab es dort Nachmittagsvorstellungen für Schulklassen. Dann wurden aufs Mal mehrere hundert Schulkinder in das enge Foyer getrieben wie Schafe in einen zu kleinen Stall. Ich erinnere mich heute noch an den Lärm und das Gedränge und meine Panik, und damals hörte ich noch gut. Jedes Kind hatte ein Plastiktäschchen mit einem Zweifränkler oder Fünfliber* dabei. Als ich an die Kasse kam, konnte ich das Täschchen nicht schnell genug finden, oder ich zückte die falsche Münze. Jedenfalls keifte mich das Fräulein an der Kasse an. Der Vorfall liess jenen Verdacht weiter spriessen, der schon seit meinen ersten, wenig beglückenden Turnstunden in mir keimte: Ich war weniger geschickt als die anderen, weniger gruppentauglich und vielleicht überhaupt nicht ganz normal. Ich habe dieses Bild von mir ein Leben lang kultiviert, manchmal mehr, manchmal weniger, war immer etwas schüchtern und neigte zu den Rändern des grossen Geschehens.

Trotzdem oder gerade deswegen ging ich jahrelang oft zwei- bis dreimal die Woche ins Kino. Ich gehörte eher zur Arthouse-Szene, aber ich verschmähte das „Capitol“ nicht. Wenn ich die Kassenreihe links im Foyer sehe, fällt mir heute noch mein Kindheitserlebnis ein. Zuletzt war ich dort mit meiner Patentochter Carina, in einer Pandemie-Pause 2020 oder 2021. Ich erinnere mich nicht an den Film, sehr wohl aber an den erstaunlichen Popcorn-Appetit der 15- oder 16-jährigen Carina.

Ja, die Pandemie. Leider ist sie nicht spurlos am Kino Capitol vorbeigegangen, ausserdem spürt der alte Filmpalast die Konkurrenz der Multiplex-Kästen in der Agglo. Und dann gibt es grosse Baupläne für das Areal. Laut aktuellen Berichten schliesst das Lichtspielhaus 2027.

*Fünffranken-Münze