Die Kirche mit dem frechen Turm

Die evangelisch-reformierte Lukaskirche als Neubau mit bescheiden gewordenem Turm, 1935.

Man könnte eine dreistündige Stadtführung durch die berühmtesten Kirchen der Stadt Luzern machen: die hochehrwürdige Hofkirche, die 1178 ganz am Anfang der hiesigen Stadtwerdung stand. Die Franziskanerkirche, die seit dem 13. Jahrhundert die Nordwestpforte zur Innenstadt ist. Die Jesuitenkirche, erbaut 1677, mit einer geradezu orgiastischen Innenausstattung – ein seltsamer Widerspruch zur asketischen Welthaltung ihrer Erbauer. Alle drei Gotteshäuser haben eines gemeinsam: Sie sind katholisch. Das ist wenig erstaunlich, denn die Reformation fand in Luzern gar nicht statt. Erst mit der Industrialisierung kamen Reformierte hierher.

Der ersten grossen evangelisch-reformierten Kirche der Stadt schenken wir hier auf dem Weg in die Altstadt unsere Aufmerksamkeit: der Lukaskirche. Sie wurde 1935 eingeweiht. Und sie erzählt eine Geschichte, die heute noch zu uns spricht: eine Geschichte von Zuwanderung, Diskriminierung und Verbohrtheit. Die Reformierten waren in der Zentralschweiz bis weit ins 20. Jahrhundert hinein unbeliebt. Noch im Jahrhundert davor, 1847, hatte man einen Bürgerkrieg gegen die fortschrittlicheren, reformierten Kantone verloren. Und nun wollten Reformierte hier eine Kirche bauen, noch dazu nach einem kühnen, modernen Entwurf! Mit einem Turm, der höher gewesen wäre als jene aller umliegenden katholischen Gotteshäuser! Und mit einem kraftvollen Glockenspiel! Eine Frechheit! Es gab Einsprachen. Es wurde verhandelt. Schliesslich gaben die Kirchenbauer nach und machten den Turm ein Stockwerk kürzer.

Die Geschichte zeigt auch, wie lachhaft solche Ressentiments später aussehen können. Denn ob katholisch oder reformiert: Beide Religionsgemeinschaften sind heute kaum noch relevant. Beide pflegen gerne die Ökumene, um etwas mehr Leute in ihre Häuser zu bringen. Die katholische Kirche wird zudem gerade von einem Missbrauchsskandal durchgeschüttelt, der sogar ehemals sehr treue Schäfchen in Scharen davonlaufen lässt. Auch die evangelisch-reformierte Landeskirche schrumpft. Gewachsen sind nur die Bäume, die links und rechts des Portals der Lukaskirche stehen und den Ort heute still und in sich versunken wirken lassen.

Das Portal der Lukaskirche im Vögeligärtli an einem Samstag im November 2023.

Quelle für diesen Beitrag ist unter anderem das Buch „Hirschmatt Neustadt Luzern“ von Stefan Ragaz, Hrsg. Quartierverein Hirschmatt-Neustadt Luzern, 2022

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert