Warum machen wir Fehler? Das ist eine Frage, die mich schon lange beschäftigt (auch hier nachzulesen). Mich interessieren vor allem jene, von denen wir sehr genau wissen, dass sie uns nicht passieren dürfen. So genau, dass wir präzise Vorkehrungen getroffen haben, um sie zu vermeiden. Und trotzdem passieren sie uns. Als hätte ein Dämon unsere Hand geführt. Wir Zeitungsmacherinnen der alten Schule kennen solche Vorkommnisse nur zu gut. Auf einer fertigen Seite alles Wesentliche nochmals kontrolliert – und dann doch in einer Bildlegende einen Namen verwechselt; in der Nachrichtenspalte eine uralte Nachricht aus dem Stehsatz nochmals veröffentlicht. Das klingt harmlos. Aber je nach Art und Relevanz des Lapsus konnte eine solche Panne früher Leserbrief-Shitstorms auslösen. Oder seine Urheberin entschuldigte sich danach tagelang telefonisch bei Menschen, die sich – oft verständlicherweise – beleidigt fühlten. Ja, solche Ausrutscher konnten Karrieren beenden.
Auch bei mir hat eine Häufung solcher Fehler vor 15 Jahren einen beschämenden Karriereknick verursacht. Sie passierten trotz mit der Zeit geradezu panischer Kontrollen. Sie schienen auf einen unhaltbaren Zustand in mir drin zu verweisen, den ich nicht verstand. Erst im letzten Herbst habe ich mich mit dieser finsteren Phase meiner Laufbahn versöhnt, als mich ein gewisser Tarcisius Schelbert aus Weggis (hier sein köstlicher Leserbrief) mit dem Dämon aller Schreibtischtäter bekanntmachte, dem Titivillus. Dass ein Gehilfe des Teufels bei solchen Fehlleistungen seine Finger drin hat – und dass schon die Scribenten des Mittalalters diesen kannten – schien mir keine billige Entschuldigung zu sein. Es half mir, meine Unzulänglichkeiten von damals gelassener zu sehen.
„Dieser Dämon hat Humor“, schreibt Schelbert und weist darauf hin, dass aus „Unfällen“ in der Hektik des Tagesgeschäfts schnell „Umfälle“ werden. Und er gibt Anleitung zum Umgang mit dem Titivillus: „Also, wir Texter, Männer und Frauen, müssen den Titivillus besänftigen. Ich opfere ihm deshalb eine Flasche Wein. Man muss seine Feinde lieben, vielleicht schadet das ihnen. Viva!“
Dieser Tage machte meine Nichte Marie-Christiane (23) an einer wichtigen Prüfung an der Uni erste Bekanntschaft mit dem Titivillus. Ich werde hier keine Einzelheiten ausbreiten. Nur, dass sie infolge eines Versehens als Betrügerin dasteht, was die erfolgsverwöhnte und äusserst korrekte, junge Frau zutiefst erschüttert hat. Ich bin sicher, dass sie sich retten kann. Aber ich opfere hiermit einen Sonntagmorgen, indem ich dem Titivillus eine Huldigung schreibe. Möge er damit zufrieden sein und von meiner Nichte für lange Zeit ablassen. Und möge Marie-Christiane in zehn Jahren über den Aufruhr von heute lachen können.
Dankeschön für den Hinweis auf den Titivillus, liebe Frau Frogg. Ich kannte bislang nur den Druckfehlerteufel, mit dem Drucker und Setzer zu tun hatten.
https://trittenheim.wordpress.com/2018/07/18/aufgespiesste-fehler-und-geburt-des-druckfehlerteufels-fehlerwoche-im-teestuebchen-3/
Ihnen zum Trost eine tragische Geschichte
https://trittenheim.wordpress.com/2015/12/10/adventskalender-10-tuerchen-warum-herr-gottschalck-naechtens-ueber-meinen-flur-schleicht/
Oh, das sind zwei höchst lesenswerte Beiträge, Herr van der Ley! Besonders das Schicksal des Herrn Gottschalck ist mir sehr nahe gegangen! Ich könnte mir gut vorstellen, dass Titivillus und der Druckfehlerteufel Vater und Sohn sind, jedenfalls enge Verwandte. In einem englischen Text aus dem 14. Jahrhundert stellte sich Titvillus laut Wikipedia wir folgt vor (Meine Übersetzung: „Ich bin ein armer Tüüfel, und ich muss jeden Tag meinem Meister 1000 Säcke voller Fehler und Nachlässigkeiten in Silben und Wörtern bringen.“ Das war möglicherweise vor der Verbreitung des Buchdruckes, eine Zeit, in der Titivillus noch hart arbeiten musste, um seine Quote zu erreichen. Danach kam er wohl mit dem Sammeln von Fehlern kaum mehr nach und brauchte die Hilfe eines Sohnes/Bruders. Der Chef muss sich derweil die Hände gerieben haben über das, was da zusammenkam. Oder er hat die Übersicht verloren, wer weiss.