Wenn der Cowboy vom Pferd stürzt


Cowboy Brady in „The Rider“ liebt Pferde. Aber reiten kann er nicht mehr. (Quelle: theatlantic.com)

„The Rider“ ist ein sterbenslangweiliger Film. Endlose Einstellungen mit Cowboys und Pferden. Endlose Einstellungen mit dem Gesicht des Hauptdarstellers. Merkwürdige Dialoge schlecht eingeführter Figuren (Hier geht’s zum Trailer). Im dunklen, fast leeren Kinosaal streckte mir meine Freundin Kaja verstohlen eine Notiz unter die Nase: „Dieser Film wird von der Kritik stark überschätzt.“ Ich nickte heftig. „The Rider“ hat mehrere renommierte Filmpreise gewonnen. Doch wir sind beide froh, als er vorbei ist.

Kaum bin ich zu Hause, google ich ihn dennoch. Etwas an diesem Film hat mich gepackt: Hier geht es um einen Menschen, der nicht mehr tun kann, was er am liebsten tut. Um den jungen Rodeoreiter Brady, der sich bei einem Sturz vom Pferd schwer am Kopf verletzt hat und jetzt seinen Beruf nicht mehr ausüben kann – der überhaupt nicht mehr über längere Zeit reiten kann. Was dieser junge Mann durchmacht, kenne ich genau. Als mein Gehör zu streiken begann, musste ich die Hoffnung aufgeben, je wieder meinen geliebten Beruf als schreibende Journalistin auszuüben. Ich musste mich in den hinteren Rängen der Redaktion neu zurechtfinden. Ich habe es gekonnt. Aber die Ratlosigkeit im Gesicht des jungen Reiters Brady kenne ich nur zu gut. Ich kenne seine zum Scheitern verurteilten Versuche, wieder zu reiten. Ich kenne seine Annäherungsversuche an die Grenzen des Möglichen. Und seine Enttäuschung, wenn er sie lächerlich schnell überschreitet und einen Rückschlag erlebt.

Im Grunde habe ich erwartet, dass der Film verläuft wie die üblichen Geschichten über behinderte Helden: Sie leiden ein bisschen, akzeptieren dann ihre Grenzen, entdecken neue Perspektiven und wachsen schliesslich in ein neues Leben hinein. Wäre es eine solche Geschichte gewesen, dann wäre ich voller Hoffnung nach Hause gegangen. Ich hätte gedacht: „Es gibt also doch Menschen, die es schaffen.“

Aber „The Rider“ ist nicht so. Cowboy Brady findet keine Perspektiven, nur einen ungeliebten Job im Supermarkt. In der Schlussszene besucht er seinen Freund Lane im Behindertenheim. Lane geht es noch viel schlechter. Er hat beim Sturz am Rodeo eine Hirnverletzung erlitten und kann weder gehen noch sprechen. Die Frage hängt in der Luft: Was für einen Sinn hat das Leben dieser beiden schwer Gestürzten überhaupt. Wir wissen es nicht.

Und doch bleiben zwei Dinge von dieser Schlussszene: Die Zärtlichkeit, mit der sich Brady um seinen Freund kümmert. Und die Schönheit des gescheiterten, jungen Cowboys.

Über das Bloggen

Die meisten von Euch kennen wohl den Marshmallow-Test. Er geht so: Eine Psychologin setzt ein Kind in einem leeren Zimmer vor ein Stück Marshmallow – eine Süssigkeit, die im deutschen Sprachraum offenbar auch unter dem faszinierenden Namen Mäusespeck bekannt ist. Dann sagt die Forscherin zum Kind: „Wenn Du es schaffst, diesen einen Marshmallow nicht zu essen, bis ich wiederkomme, bringe ich Dir nachher einen zweiten – und dann kannst Du beide essen.“ Kinder, die warten konnten, wurden also belohnt. Man liest immer wieder, dass Kinder, die warten konnten, auch später dem Leben ganz allgemein besser gewachsen gewesen seien: Sie hätten bessere Schulnoten, seien emotional ausgeglicherer, würden weniger Drogen nehmen und hätten einen tieferen BMI (hier ein Bericht dazu). Natürlich wirft der Test mehr Fragen auf als er beantwortet. Zum Beispiel: Ist die bessere Impulskontrolle bei geduldigen Kindern angeboren oder anerzogen? Oder ein bisschen von beidem?

Einerlei: Wenn ich schreibe, denke ich jetzt ständig an den Marshmallow-Test. Noch vor zwei Jahren arbeitete ich an einem Roman, vor einem halben Jahr an Kurzgeschichten. Jetzt habe ich wieder zu bloggen angefangen, simpel und ergreifend. Ich tue es in der beunruhigenden Ahnung, dass ich mir dabei vielleicht Grösseres versage: dass ich in einem Roman vielleicht tiefer schürfen, relevantere Dinge sagen, dass ich für eine Kurzgeschichtensammlung vielleicht mehr Anerkennung bekommen könnte. Aber ich kann nicht warten. Ich brauche meine Leser jetzt. Ich brauche die Kommentare jetzt. Ich brauche die Auseinandersetzung mit dem Hier und Jetzt. Kurz: Ich brauche meinen Mäusespeck jetzt. Ich versage beim grossen Marshmallow-Test der Schriftstellerei.

Ich fühle mich etwas liederlich. Ich frage mich: Bin ich selber schuld, dass ich die Geduld für einen Romannicht habe? Oder ist das angeboren?

Als ich dem Marshmallow-Test ein wenig nachforschte, erfuhr ich dann, was ich schon geahnt hatte: Man sollte ihn nicht allzu ernst nehme.Hier ist erklärt, warum.

Würfelzucker

Am Dienstag wollte ich in unserem Quartier-Coop eine Packung Würfelzucker kaufen. Ich stand vor dem Gestell mit dem Zucker und liess meine Augen über das Angebot schweifen. Es ist unglaublich, wie viele zuckerartige Produkte es auch in einem kleinen Coop gibt: Kristallzucker und Feinkristallzucker, Rohrzucker und Rohrzucker in Würfeln, Assugrin, Xylit sowie Stevia-Pulver und Stevia in kleinen Tabletten. Dazu Agavensirup, Ahornsirup, Melasse und Birnel. Und Feinkristallzucker in kleinen Portionenbeuteln aus Papier. Aber den wollte ich nicht, wegen der Papierverschwendung. Hundsgewöhnlichen Würfelzucker jedoch gab es keinen. Ich fragte die junge Frau, die in der Nähe ein Gestell auffüllte. „Ja, tut mir leid“, sagte sie, „Wir bekommen im Moment tatsächlich keinen geliefert. Ich weiss nicht, woran das liegt.“

Ich war befremdet. Ich meine: Zum kultivierten Alltag gehört eine Tasse Kaffee am Morgen mit einem Stück Würfelzucker. Und dazu die Zeitung.

Nun sind wir Ü50 uns gewöhnt, dass uns das Leben lieb Gewonnenes wegnimmt – ganze Warenhausketten schliessen, die CD braucht es nicht mehr, die DVD auch nicht, die Gesundheit lässt nach, Bloghosts machen dicht, neue Datenschutzregeln erschweren den Kontakt zu alten Bloggerkollegen plötzlich enorm. Auch das Ende der geliebten Zeitungslektüre am Morgen rückt von Jahr zu Jahr näher. Aber Würfelzucker? Ich hätte es als selbstverständlich erachtet, dass der Print-Journalismus vor dem Würfelzucker verschwindet.

Nachdenklich trug ich meine anderen Einkäufe nach Hause. Ist Würfelzucker unmodisch geworden, fragte ich mich. Aber ich lese doch viel. Ich hätte es doch mitbekommen, wenn der urbane Lifestyle plötzlich verlangen würde, dass man am Morgen Agavensirup in den Espresso giesst.

Ich grübelte vom Dienstagabend bis zum Donnerstagmorgen. Im Büro googelte ich sogar kurz „Würfelzucker“. Am Donnerstagabend beschloss ich, mal in der kleinen Quartier-Migros neben unserem Quartier-Coop nach Würfelzucker zu suchen.

Dort gab es ihn in Hülle und Fülle.

Was wir nicht erklären können

Als 2009 mein zweites Ohr schlagartig einen schweren Gehörnachlass durchmachte, ging ich zuerst ins Spital. Als man mir dort nicht helfen konnte, flüchtete ich für ein paar Tage zu meinen Eltern. Ich hielt es bei meinem Mann nicht mehr aus. Er hatte nicht begriffen, woher der Wind weht. Er weigerte sich, mich ins Krankenhaus zu begleiten, als sie mir Cortisonspritzen ins rechte Ohr zu jagen begannen. „Wieso sollte ich?“ sagte er. „Du kannst ja noch gehen, da schaffst Du das auch allein.“ Er ahnte nicht, wie verstört ich war. Auf dem Weg ins Spital wäre ich beinahe unter ein Auto gekommen. Danach war ich sauer auf ihn. Deshalb ging ich zu meinen Eltern, die damals rüstige Endsechziger waren. Sie nahmen mich freundlich auf, tranken Tee mit mir, und wir plauderten tagelang über Gott und die Welt. Allmählich ging es mir besser, und doch blieben auch sie mir in jener Zeit merkwürdig fremd. Ich ihnen auch. „Du verstehst ja alles, wenn wir mit dir reden“, sagten sie. Sie wollten mir nicht recht glauben, dass ich wirklich schwerhörig geworden war.

Ich versuchte es ihnen zu erklären. Ich hatte ja links schon ein Hörgerät, und wir sprachen meist in deiner stillen Stube. Natürlich verstand ich sie. Ich musste mich bloss mehr anstrengen als früher. Sie sagten nichts, aber ich ahnte: Sie hatten das Gefühl, ich sei verrückt geworden oder vielleicht eine Simulantin. Sie taten trotzdem, was gute Eltern tun: Sie behandelten mich anständig und unterstellten mir nichts. Aber sie waren mit dem Herzen nicht ganz dabei, ich merkte es.

Ich glaube, das Wesen einer Behinderung ist mit Worten meist nur schwer kommunizierbar. Ganz gleich, ob wir blind oder schwerhörig oder im Rollstuhl sind – in unserem Körper und unserer Seele werden sich immer Dinge abspielen, die ein Nicht-Behinderter nicht wirklich nachvollziehen kann. Deshalb sind uns jene Nicht-Behinderten am liebsten, die einfach zuhören und uns ernst nehmen. Die sich nicht von Vorurteilen leiten lassen oder genau zu wissen meinen, was wir brauchen.

Wenn sie sich nicht von Vorurteilen leiten lassen, lernen sie im besten Fall selber etwas dazu – so war es mit meinem Mann, der mir in den letzten Jahren eine echte Stütze geworden ist.

Seither habe ich mein Gehör ein paarmal verloren und wiederbekommen und wieder verloren. Vor ein paar Jahren hörte meine Mutter dann plötzlich schlechter – es stellte sich heraus, dass auch sie eine Meniere-Patientin war, auch wenn es sie später und weit weniger heftig erwischte als mich.

Wenig später sagte sie zu mir: „Seit ich auf dem einen Ohr so schlecht höre und dieses Tinnitus habe, weiss ich was du damals durchgemacht hast. Das ist ja schrecklich.“ Das hat mich so berührt, dass ich beinahe zu weinen begonnen hätte.

Die bittere Wahrheit

Meine letzten Beiträge haben es ja bereits erahnen lassen: Mein Gehör hat sich nochmals verschlechtert. Vor drei Wochen ging ich zur Hörgeräte-Akustikerin. Sie machte ein Audiogramm – und tatsächlich: Der Hörverlust betrug 60 Prozent auf dem linken Ohr. Sieben Jahre lang ist das linke Ohr mein besseres Ohr gewesen, der Hörverlust hatte lediglich 40 Prozent betragen, das reichte zum Telefonieren. Aber Telefonieren ist schwierig geworden. Auch mit neu angepasstem Hörgeräten und den tollen Headsets im Büro. Rechts höre ich zwar Lärm recht gut, aber so etwas wie Sprachverständnis habe ich nur noch an guten Tagen.

Die bittere Wahrheit auf einem Audiogramm zu sehen, stresste mich dermassen, dass ich links einen weiteren Hörsturz hatte. Als ich eine Woche später zum Ohrenarzt ging, mass er schon 70 Prozent Hörverlust auf dem linken Ohr. Er verschrieb Cortison, Betahistin und Stugeron. Es hat genützt, aber nur ein bisschen.

Deshalb habe ich hier so lange nichts mehr geschrieben. Ich war geschockt. Das ist alles. Aber ich werde das in den Griff bekommen. Versprochen.

Wie Schwerhörige einkaufen

Vor einer Woche konnte ich im Buchladen noch halbfertige Gespräche führen. Seither hat sich mein Gehör nochmals verschlechtert. Das ist an sich normal bei einer Menière-Erkrankung. Manchmal kann es schnell bergab gehen. Unangenehm ist es dennoch: Gestern habe ich im Blumenladen die zugegebenermassen etwas schüchterne, junge Frau an der Kasse gar nicht mehr gehört. Ich sah nur, wie sie inmitten von penetrantem Umgebungslärm die Lippen bewegte. Das hat mich so erschreckt, dass ich ganz durch den Wind war. Der Samstagseinkauf wurde zu einem einzigen Spiessrutenlauf. Dabei weiss ich eigentlich längst, wie man als Schwerhörige an der Ladenkasse besser zurechtkommt. Zeit, dass ich mir die Regeln wieder in Erinnerung rufe. Man verkraftet sogar den Irrsinn besser, wann man sich mittendrin am Betonpfeiler eines Regelwerks festhalten kann. Hier sind sie:

– Wenn möglich die Self-Checkout-Kasse benützen
– Wenn das nicht möglich ist: Ruhe bewahren. Die meisten Verkaufsgespräche über den Ladentisch sind stark normiert. Im Warenhaus oder Einkaufszentrum zum Beispiel wird die Verkäuferin zuerst fragen: „Möchten Sie eine Tüte?“ Dann: „Haben Sie unsere Super-Profit-Bonus-Kundenkarte?“ Dann wird sie den Preis eintippen und nennen. Dann wird sie etwas sagen wie: „Danke und einen schönen Tag noch.“ Auch als Anfängerin im Lippenlesen kann man nachprüfen, ob sie vielleicht doch etwas anderes sagt. Offensiv nachfragen bringt wenig, wenn ich schon beim ersten Mal gar nichts gehört habe. Am einfachsten sind übrigens die Verkaufsgespräche im Nespresso-Laden. Sie sind so streng durchnormiert wie die Verpackungen des Kaffees, den sie verkaufen. Für Schlappohren geradezu ideal.
– Wichtig: Preise schon auf dem Etikett beim Gestell ablesen. Oder dann auf der Anzeige der Kasse. Nichts ist peinlicher, als venn man sich auf die Stimme des Verkäufers verlässt. Es passieren dann Szenen wie diese: Verkäufer: „2.90 bitte.“ Ich: Reiche Fr. 2.90. Verkäufer: dreht die Münzen in der Hand, bewegt dabei die Lippen. Runzelt die Stirn. Zeigt dann auf das Etikett am Produkt. Dort steht Fr. 5.90.
– Klar, der Spielraum für Witzeleien, für das allgemein Menschliche fällt weg. Aber das ist Schicksal. Ausserdem bietet die Situation genug Anlass für Komik. Also. Den Humor bewahren.

Halbfertige Gespräche

In der Buchhandlung mache ich dem Mann an der Kasse ein Kompliment für die englische Abteilung hier im Laden. Es ist eigentlich gar keine englische Abteilung. Es ist nur ein einziges, kurzes Brett mit zehn, vielleicht 15 englischsprachigen Titeln. „Und doch steht dort jedes Mal ein Buch, dem ich einfach nicht widerstehen kann“, sage ich. Er packt meine neuen Bücher in eine Tüte und freut sich. Ich glaube, er sagt: „Da sind sie an den Richtigen geraten. Ich bin für den englischen Bestand zuständig.“ Aber er könnte auch etwas leicht anderes gesagt haben. Doch ich habe entschieden, nicht nachzufragen. Ich habe entschieden, einfach so zu tun, als hätte ich ihn verstanden. Meine Tage sind jetzt voller solcher Entscheidungen. Mein Gehör hat sich wieder verschlechtert. Ich verstehe längst nicht mehr alles, was mir die Leute sagen. In Sekundenbruchteilen muss ich entscheiden, ob ich nachfrage oder nicht. Oft ist der Entscheid irreversibel. Man kann einem Gegenüber schlecht nach vier oder fünf Sätzen sagen: „Könnten Sie nochmals von vorne anfangen? Ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden.“ Das wirkt einfach unhöflich.

Früher hätte ich gesagt: „Man muss immer nachfragen! Das gebietet die elementare Freundlichkeit! Der Gesprächspartner hat das Recht darauf, verstanden zu werden. Immer.“

Aber heute sehe ich auch: Ständiges Nachfragen streut Sand ins Getriebe jeder Konversation. Ständiges Nachfragen, manchmal zwei- oder gar dreimal, fühlt sich auch unhöflich an, so, als würde man den Gesprächspartner nicht ganz ernst nehmen.

Die Schwerhörigkeit ist ein Makel, eine Peinlichkeit. Sie zwingt uns, vom Gegenüber einen Dienst zu fordern. Den lästigen Dienst, sich zu wiederholen. Oft ist es für das Gegenüber schwer nachzuvollziehen, warum das nötig ist. Schwerhörigkeit kann man ja nicht sehen. Deshalb frage ich in Konversationen mit Fremden oft nicht viel nach. Ich versuche einfach, das Wesentliche irgendwie auf die Reihe zu bekommen.

Ich lasse den Buchhändler von seinen englischen Büchern erzählen. Er sagt: „Man muss halt irgendwie die Essenz finden, das Wichtigste. Das, was unsere Kunden wollen könnten.“ Das verstehe ich.

Tante Luzia

Sie hiess Tante Luzia, und sie war schwerhörig. Noch vor zehn Jahren kam sie jeweils an Familienfeste bei der Tigerfamilie. Da konnte sie mächtig anstrengend sein, gerade wegen ihrer Schwerhörigkeit. Damals hörte ich noch gut, aber ich ahnte, dass sich das ändern könnte. Doch nie, dachte ich damals, niemals will ich wie Tante Luzia werden.

Sie konnte zum Beispiel still dasitzen und andächtig ihren von der Tigermutter zubereiteten Rindsschmorbratenbraten zu sich nehmen. Wir derweil bemühten uns, beim Essen eine familientaugliche Konversation zum Laufen zu bringen. Es war, offen gestanden, nicht so einfach. Es hatten nicht alle dieselbe Wellenlänge in der Tigerfamilie. Meist gelang es uns dann doch irgendwie – aber kaum wurde es gemütlich, holte Tante Luzia tief Luft, fiel dem akutellen Sprecher ins Wort und begann ein belangloses Geschichtchen über ihr Hündchen Leopold – kurz: Pöldi – zu erzählen. Wir nickten interessiert und stellten ihr weitere Fragen. Aber sie verstand nicht und verstummte wieder. Wir versuchten dann, unseren Faden von vorhin wieder aufzunehmen – und nach zehn Minuten passierte wieder dasselbe.

Heute muss ich manchmal an Tante Luzia denken, wenn ich mittags mit meinen Kollegen in der Cafeteria sitze. Sie sind ja nett und nehmen mich zum Essen immer mit. Aber es ist ein Megastress für mich. Ich horche und horche und oft verstehe ich trotzdem nicht einmal mehr, über was sie reden. Manchmal sage ich dann: „Sorry, ich weiss nicht, über was ihr redet.“ Oder: „Kannst Du das nochmals sagen?“ Ich fühle mich dann immer ein bisschen lästig. Ich habe mich sogar schon dabei ertappt, dass ich eine kurze Pause im Gespräch abwarte und dann irgendetwas zu erzählen beginne. Dann verstehe ich erst, wie anstrengend das alles damals für Tante Luzia gewesen sein muss.