Am Dienstag wollte ich in unserem Quartier-Coop eine Packung Würfelzucker kaufen. Ich stand vor dem Gestell mit dem Zucker und liess meine Augen über das Angebot schweifen. Es ist unglaublich, wie viele zuckerartige Produkte es auch in einem kleinen Coop gibt: Kristallzucker und Feinkristallzucker, Rohrzucker und Rohrzucker in Würfeln, Assugrin, Xylit sowie Stevia-Pulver und Stevia in kleinen Tabletten. Dazu Agavensirup, Ahornsirup, Melasse und Birnel. Und Feinkristallzucker in kleinen Portionenbeuteln aus Papier. Aber den wollte ich nicht, wegen der Papierverschwendung. Hundsgewöhnlichen Würfelzucker jedoch gab es keinen. Ich fragte die junge Frau, die in der Nähe ein Gestell auffüllte. „Ja, tut mir leid“, sagte sie, „Wir bekommen im Moment tatsächlich keinen geliefert. Ich weiss nicht, woran das liegt.“
Ich war befremdet. Ich meine: Zum kultivierten Alltag gehört eine Tasse Kaffee am Morgen mit einem Stück Würfelzucker. Und dazu die Zeitung.
Nun sind wir Ü50 uns gewöhnt, dass uns das Leben lieb Gewonnenes wegnimmt – ganze Warenhausketten schliessen, die CD braucht es nicht mehr, die DVD auch nicht, die Gesundheit lässt nach, Bloghosts machen dicht, neue Datenschutzregeln erschweren den Kontakt zu alten Bloggerkollegen plötzlich enorm. Auch das Ende der geliebten Zeitungslektüre am Morgen rückt von Jahr zu Jahr näher. Aber Würfelzucker? Ich hätte es als selbstverständlich erachtet, dass der Print-Journalismus vor dem Würfelzucker verschwindet.
Nachdenklich trug ich meine anderen Einkäufe nach Hause. Ist Würfelzucker unmodisch geworden, fragte ich mich. Aber ich lese doch viel. Ich hätte es doch mitbekommen, wenn der urbane Lifestyle plötzlich verlangen würde, dass man am Morgen Agavensirup in den Espresso giesst.
Ich grübelte vom Dienstagabend bis zum Donnerstagmorgen. Im Büro googelte ich sogar kurz „Würfelzucker“. Am Donnerstagabend beschloss ich, mal in der kleinen Quartier-Migros neben unserem Quartier-Coop nach Würfelzucker zu suchen.
Dort gab es ihn in Hülle und Fülle.
Eine wunderschöne Parabel über die Vergänglichkeit. Und dass die Vergänglichkeit vielleicht doch nur eine Vorstellung ist …
Gratuliere!
Na Gott sei Dank! Ich hab schon Angst gekriegt. Auch wenn ich keinen Würfelzucker brauche…, aber es verbinden mich viele Kindheitserinnerungen mit ihm. Ich war ein Süßer.
Würfelzucker und Kindheitserinnerungen … das klingt ja fast wie Proust 🙂
Danke für das Kompliment, lieber Walter! So weit habe ich selber gar nicht gedacht (wenn auch sehr intensiv an das Thema Vergänglichkeit).
Ja, die Migros. Alles Gute und kein Alkohol und keine Zigaretten. Die Filiale in Riehen ist mein Lieblingsgeschäft. Liebe Grüsse in die Schweiz!
Dabei fällt mir ein, dass ich schon seit Ewigkeiten keinen Würfelzucker zu mir genommen habe und auch keinen normalen Zucker mehr gekauft habe, und nur noch Traubenzucker (Dextropur plus) in den Tee tue, Kaffee schwarz trinke.
Aber es stimmt, dass manche Dinge still und lautlos plötzlich aus den Regalen verschwinden. Wenn man Glück hat, gibt es die dann noch irgendwo im Internet (meist über Amazon) zu kaufen.
Du trinkst Deinen Tee mit Traubenzucker?! Das ist sicher merkwürdig … Du, eben habe ich Dich aufgefordert, mir eine Einladung zu schicken. Nun hoffe ich, dass es klappt mit Deinem Blog.
Ja, ich hatte auf Traubenzucker umgestellt, weil das angeblich gesünder sein soll. Geschmacklich sehe (bzw. schmecke) ich da keinen Unterschied.
Ich war Freitag den ganzen Tag in Hamburg. Hatte deine EMail daher erst Samstag gelesen.
Inzwischen müsstest du meinen PRiVATEN Blog lesen können.
Vergiss den Buchdruck, den Otto- Motor, die Elektrizität, die Raumfahrt und Mickey Mouse: Die Erfindung des Würfelzuckers stellt all das in den Schatten!
🙂 Ja, nicht!? Man kann sie nicht einfach so der Geschichte übergeben.
😀 Tatsächlich. Ich habs schnell gegoogelt. Am Anfang stand ein blutiger Finger.
Das hast Du schön geschrieben. Lustig, aber auch wahr. Liebe Grüße.
Danke 🙂
Danke 🙂 Gerne. Es macht wieder mehr Spass, das Schreiben.