Drei Träume

13. Februar: Der Kulturflaneur und ich wohnen in einem Schloss mitten in einem Wäldchen am Fluss. Die Burg ist baufällig, Trümmer liegen in den Räumen. Die Schlossherren sind auch da, schreiten umher und sprechen englisch. Nachts kommen Marder herein und spielen zwischen den Trümmern. Eine Psychotherapeutin, die auf Besuch kommt, kann nicht schlafen. Der Kulturflaneur und ich verlassen das Schloss. Im Wäldchen begegnen wir einem Italiener, der auf der Suche nach einer Bleibe ist. Wir kommen zu einer Pizzeria. Unser Begleiter verwandelt sich in einen Wolf und verjagt den Pizzabäcker – dann zieht er selber in die Pizzeria ein. Ich erwache und bin überschäumend fröhlich, weil unser Freund ein neues Daheim gefunden hat.

14. Februar: Abends besuche ich ein Ausgehlokal. Es ist gebaut wie ein Basar in Istanbul, mit vielen verschachtelten Innen- und Aussenräumen. Ich treffe Judith, eine Freundin aus meiner Zeit in der Kulturszene. Ich will mit ihr sprechen, aber sie hat keine Zeit für mich, sie muss arbeiten. Dann sehe ich Matz, auch einen alten Bekannten. Doch auch er wird nicht mit mir sprechen, er hat mich immer verachtet. Ich gehe in einen Aussenraum und finde vor dem Eingang zu einer Bar drei schalenförmige Stühle. Auf einen davon setze ich mich und schlafe ein. Ich reisse mich aus dem Schlaf und betrete die Bar. Dort laufen am Fernsehen Bilder vom Ukrainekrieg. Der Barmann sagt: „Sie habe ich hier noch nie gesehen.“ Ichv ersichere ihm, dass ich oft hier im Haus bin – aber selten an dieser Bar. Die Explosionen im Fernseher erschüttern das Gebäude. Ich komme mit einer Krankenschwester ins Gespräch. Sie wohnt an der Strasse am Fluss, im gleichen Haus wie ich früher. Sie fragt mich, an welcher Busstation ich jeweils ausgesteigen sei. Sie sagt: „Ich weiss nie, wo ich aussteigen soll. Ich habe überall Angst, vergewaltigt zu werden.“ Wir fahren zusammen dorthin, aus dem Stadtfluss ist eine grüne Landschaft mit zwei alten Holzbrücken geworden. Trotzdem weiss ich noch genau, wo wir aussteigen müssen. „Es ist doch ganz einfach“, sage ich. Dann wache ich auf. Ich bin abgrundtief traurig.

15. Februar: Ich habe ein Klassentreffen unserer Gymnasiums-Klasse, aber ich erinnere mich an nichts Genaues – es ist, als sträube der Traum sich gegen das Erinnertwerden. Aber ich erwache glücklich. Ich bin sicher, dass ich im Traum all jene Kolleginnen und Kollegen gesehen habe, die mir damals etwas bedeutet haben: Astrid und Sibylle, Regula und Lukas und Erich.

Das ist mein Beitrag zum zweiten diesjährigen Wort des famosen Projektes *txt. Es lautet „nächtelang“.

Pussies

Seit Stunden schaue ich mir Bilder von den Women’s Marches an, die gestern weltweit gegen Donald Trump stattgefunden haben. Dass die Amerikaner diesen Milliarden-Pleitier und Menschenverächter zum Präsidenten gemacht haben, schockiert mich noch immer zutiefst. Das ist ein GAU für die Demokratien des Westens. Der Aufstand der Frauen kommt spät, aber er kommt Gottseidank, und er ist wunderschön, witzig und überwältigend gross. Möge ihm bald die Absetzung des neuen Präsidenten folgen!

Musik in meinen Ohren


Frau Frogg ist in grauer Vorzeit Beatles-Fan gewesen. Seither hat sich vieles geändert

Achtung, dies ist ein Klagelied! Es tut mir leid, ich kann nicht anders. Dominik Leitner ist schuld. Er hat uns in seinem Projekt *txt das Stichwort mittlerweile gegeben. So ein Wort ist ein Steilpass für jemanden mit einer chronischen Krankheit – es fordert geradezu dazu heraus, die Veränderungen zu untersuchen, die zum Beispiel so ein Morbus Menière bewirken kann. Ich verspreche, dass ich dafür auch einen Beitrag zum neuen Wort Hoffnungsschimmer schreiben werde.

Als Teenager war ich Beatles-Fan. Ich hörte noch tiptop, und ich kannte sämtliche Beatles-Songs ohne Ausnahme. „Please Please Me“ war ein Favorit von mir, dieser sehnsuchtsvolle Chor, dieses eindringliche Gitarrenriff – ich muss das Lied an die hundertmal gehört haben.

Neulich machte ich Weihnachtseinkäufe und betrat einen Laden mit dänischem Schnickschnack. Das Geschäft war proppenvoll und nebst allem anderen Lärm und meinem Tinnitus jaulte auch noch eine Gitarre falsch aus einem Lautsprecher. Jemand sang abgehackt und zwischendurch traktierte ein Drummer sein Instrument. Es musste eine Minute in den Song hinein sein, als ich plötzlich die Zeile „Last night I said these words to my girl“ verstand. Sofort wusste ich: Das ist „Please Please Me“ – aber die Melodie hätte ich nie erkannt. So ist es, schwerhörig zu sein.

Ich hatte keine Zeit, darüber traurig zu sein. Ich fand statt dessen den dänischen Schnickschnack einfach saublöd und verliess den Laden so schnell wie möglich.

So bin ich mittlerweile: schnell gereizt, schnell bereit, Dinge langweilig oder ärgerlich zu finden. In ständiger Angst vor dem nächsten Schwindelanfall und vor Situationen, denen ich mit meinem schlechten Gehör nicht gewachsen sein könnte.

Ich bin einmal ganz anders gewesen, versichere ich mir mittlerweile oft. Ich hatte Selbstvertrauen der Jugend. Ich hatte zu allem etwas zu melden. Ich konnte Musik hören und reisen und wusste stets, was es zu Bloggen gab. Aber ich habe wenig Kraft im Moment. Das einzige, was ich gerade wirklich gerne tue, ist lesen und schlafen.

Messerlis Finger

Neulich setze ich mich zum Mittagessen in der Cafeteria zum Kollegen Messerli – er ist in Begleitung einer jungen Frau, die er mir als die Praktikantin Diana vorstellt.

Messerlis Ehefrau kocht gerne, und so bringt er sein Mittagessen oft von zu Hause mit. Heute hat er rohes Gemüse dabei, das er in eine Dip-Sauce taucht. Diese hat ungefähr die Farbe und Konsistenz von etwas zu flüssiger Erdnussbutter. Bald ist das Gemüse alle. Vom Dip dagegen ist noch eine Menge da. Das Sösseli scheint schmackhaft zu sein. Denn während Messerli mit seiner üblichen Leichtigkeit konversiert, taucht er bald den Finger tief in das durchsichtige Plastikgefäss, führt ihn mit erdnussbuttriger Last zum Mund, steckt ihn hinein und leckt ihn genüsslich ab. Das tut er, bis im Plastik nur noch ein paar schleimige Reste übrig sind – und dann tut er es wieder. Zweimal, dreimal, viermal. Ich glaube, er merkt gar nicht, was er tut.

Ich lasse bei Leuten, die gut plaudern, gerne puncto Tischmanieren die Fünf gerade sein. Man ist ja selber nicht perfekt. Aber Messerlis Gelecke ekelt mich doch ein bisschen. Und als ich Diana einen Seitenblick zuwerfe, sehe ich, wie sie angewidert die Mundwinkel nach unten zieht. Die jungen Leute sind ja in solchen Dingen noch viel heikler als wir Endvierziger.

Es ist an mir, Messerli zu stoppen. Diana wird es nicht tun, dafür hat sie hier zu wenig zu melden. Ich bin die ältere und theoretisch im Besitz von genügend Autorität. Aber ich winde mich. Um ehrlich zu sein: In solchen Momenten fehlt es mir an Fingerspitzengefühl und Zivilcourage. Ich meine: Man muss bei einer solchen Sache locker und fröhlich bleiben, sie zur Sprache bringen, als ob sie eine amüsante Kleinigkeit wäre. Sonst erreicht man nicht, was man erreichen will und riskiert eine blöde Retourkutsche. Und mit blöden Retourkutschen bin ich nie besonderes gut gewesen.

Messerlis durchsichtige Plastikgefäss hat schon fast ein speichliges Loch von Messerlis Finger, als ich endlich locker und fröhlich herausbringe: „Hör auf damit, Messerli, es ist ja nichts mehr da!“

Hat es funktioniert? Ja, hat es. Zum Glück.

Dies ist ein neuer Beitrag zu Dominik Leitners famosem Projekt *txt. Gewissermassen in letzter Sekunde habe ich noch etwas zum elften Wort, „Fingerspitzengefühl“ hinbekommen

Putztag in Grossmutters Laden

Meine Grosseltern hatten eine Bäckerei am Dorfrand. Und weil es damals noch weit und breit keinen anderen Lebensmittelladen gab, verkaufte meine Grossmutter nicht nur Brote, Weggli und Nussgipfel – sondern alles, was die Nachbarn so brauchten: Milch und Reis, Wienerli und Päcklisuppen, Rivella blau und Coca Cola, Gummibärli, Waschpulver und Tabakwaren. Als ich ein Kind war, verbrachte ich dort oft meine Ferien.

Schon meine Grossmutter war kein Putzteufel. So entdeckte ich eines Tages im Gestell mit den Tabakwaren eine Spinnwebe. Ich entschloss mich, gleich das ganze Gestell zu reinigen. Meine Grossmutter liess mich gewähren. Ich war noch keine zehn Jahre alt, und es war das letzte Mal in meinem Leben, dass ich nicht aus schierer Notwendigkeit putzte. Der Tabak krümelte ein bisschen, als ich die blauen Pakete aus dem Gestell räumte.

Aber es machte Spass, und so kam auch das Reisgestell an die Reihe. Und dann der Boden, wo die Waschmittelpackungen sich stapelten. Mittlerweile war ich ermüdet und wollte den Waschmittel-Turm nicht auch noch abräumen. Ich putzte den Boden um den Turm herum – es muss dabei ziemlich feuchtfröhlich zugegangen sein, denn die unterste Waschmittelpackung hatte bald ein nasses Loch in einer Ecke. Ein Waschpulver-Rinnsal ergoss sich auf den nassen Boden. Ich wollte das aufgeweichte Pulver wegputzen, beschädigte dabei den Karton noch mehr, und schon knickte das Behältnis ein, neigte sich der Turm zur Seite, und dann berührte die zweitunterste Packung die nassen Fliesen. Es war wie beim Goethes Zauberlehrling. Je mehr Waschpulver ich wegputzte, desto mehr kam nach. Bald schäumte es im Ladenlokal.

Schliesslich schritt Grossmutter doch noch ein und warf mich aus dem Laden. Es war das einzige Mal, dass sie wütend auf mich war, jedenfalls für fünf Minuten.

Zu Herrn Trittenheims inspirierendem Projekt „Die Läden meiner Kindheit“ – Hier weitere Beitrage von Mitbloggern

Enttarnt

„Neeeein, nicht noch ein Beitrag über diese Autorin Elena Ferrante!“ höre ich jetzt einige von Euch rufen. Aber Ihr müsst da jetzt durch, denn ich habe etwas zu dem Thema zu sagen. Ich bin vielleicht die erste Leserin auf der Alpennordseite, die alle vier Bände des „Napoletanischen Quartetts“ mit den Heldinnen Lila und Lenu verschlungen hat (auf Englisch – Italienisch kann ich zu wenig gut).

Und? Was soll ich Euch verraten über diese circa 1500 Seiten, auf denen zwei Italienerinnen um ein besseres Leben kämpfen? Fragt, wenn Ihr etwas wissen wollt! Hier nur so viel: Die Lektüre lohnt sich. Ferrante gibt uns eine vielschichtige Chronik weiblicher Erfahrung in den letzten sechs Jahrzehnten – und ein paar tief erschütternde Wendungen im Plot.

In den Medien war die Enttarnung der Autorin die noch grössere Sensation als die erstaunlichen Verkaufszahlen ihrer Bücher. Irgendein Journalist will herausgefunden haben, wer sich hinter dem Pseudonym Elena Ferrante verbirgt. Sie soll eine Übersetzerin in Neapel sein, deren Namen ich nicht zu wiederholen brauche. Hierzulande kennen sie wohl nur die wenigsten. In Neapel dürfte das anders sein – die Literaturszene ist dort wohl nicht sehr gross. Für die Frau, die sich angeblich hinter dem Pseudonym verbirgt, dürfte sich fast alles verändern.

Aber warum wählt so jemand überhaupt ein Pseudonym? Nun, wir als Blogger verstehen das: Wir erzählen am besten unter dem Schutz unseres Nicks. Wir erzählen am wahrsten, wenn wir für unsere Leser wie eine Fremde im Zug sind. Ich für meinen Teil möchte nicht, dass meine Arbeitskollegen oder – Gott bewahre! – meine Chefs meinen Blog lesen.

Vielleicht ist es das, was mir das Schreiben in letzter Zeit schwerer macht. Mittlerweile habe ich nur noch wenige Leserinnen und Leser. Ich habe den Verdacht, dass die meisten mich persönlich kennen. Versteht mich bitte nicht falsch – es rührt mich jedes Mal, wenn ich höre, dass mich überhaupt noch jemand liest. Aber manchmal verschlägt es mir deswegen fast die Sprache.

Trump und die Medien

Zwei Tage nach dem Trump-Sieg haben die Medien in den USA mit der Selbstgeisselung begonnen – das habe ich hier gelesen. Man habe in den grossen Städten in einer Blase gelebt und das Desaster nicht kommen sehen, wehklagen sie. Gut so, sollen sie sich bessern, und ich hoffe, das schwappt dann auch auf die Schweiz über. Ich sage das als Leserbriefredaktorin einer mittelgrossen Zeitung in einem konservativen Teil der Schweiz (grosses Geständnis, aber ich muss jetzt mal Dampf ablassen).

In der Schweiz haben wir ja reichlich Erfahrung mit Volksentscheiden, deren Ausgang „alle“ schockiert. Zum Beispiel das Minarett-Verbot. Oder die Masseneinwanderungsinitiative. Nur ich als Hüterin der Leserbriefspaltenn habe die Dinge jeweils kommen sehen. Als meine Stammkunden bis weit in die politische Mitte hinein über die angebliche Unverschämtheit der Muslime oder zu viel Zuwanderung zu klagen begannen, wusste ich: Da ist etwas im Busch. Bei der Minarettinitiative lag ich mit meiner Prognose besser als unser landesweit bekannter Umfragen-Guru Claude Longchamp.

Mein Problem ist: Die Leserbriefschreiber wiederholen in aller Regel auch nur die ewig gleichen Argumente. Ich habe mich deshalb schon hundertmal, schon tausendmal gefragt: Steckt eine authentische Erfahrung dahinter, wenn dieser oder jener nicht mal so ungebildete, wahrscheinlich nicht mal so schlecht situierte ältere Herr plötzlich das Klagelied von der Überfremdung anstimmt? Und was für eine Erfahrung ist das?

Hundertmal, tausendmal habe ich mir geradezu inbrünstig gewünscht, irgendjemand könnte es mir erklären. Ich kann ja nicht mit den Absendern dieser Leserbriefe diskutieren, das würde mir als Parteilichkeit ausgelegt. Und nur schon der Verdacht der Parteilichkeit ist Gift für eine Leserbrief-Redaktion.

So hoffe ich nun, dass die Amerikaner herausfinden, wie man die Probleme des unteren Mittelstandes versteht. Nur: Sogar wenn die Medien ein Phänomen wie den Trump-Sieg dereinst ohne Rückgriff auf die üblichen Klischees erklären können – was genau würde das verändern? Und: Die meisten Menschen machen politisch prägende Erfahrungen am Arbeitsplatz – und nichts ist vor der Öffentlichkeit so gut abgeschirmt wie die Vorgänge in den grossen und kleinen Firmen dieser Welt.

Und noch etwas: Dass man nicht mehr wisse, was im ländlichen Amerika vor sich gehe, habe auch mit dem Niedergang der Lokalmedien zu tun. „Nachrichten kosten Geld“, sagt eine amerikanische Journalistin im verlinkten Bericht. Und Geld ist genau das, was heute den meisten Medien fehlt.

Verdammtnochmal!!!

Mittlerweile verbringe ich mehr Zeit mit dem Versuch, mich auf mein WordPress-Kommentar-Konto einzuloggen als mit Bloggen selber. Das ärgert mich dermassen, dass ich im Moment üüüberhaupt keine Lust habe, von twoday nach WordPress umzuziehen. Jawohl!

Und, ja, ich war auch geschockt wegen Donald Trump. Aber lamentieren hilft nix – jetzt können wir nur abwarten, was kommt.

Das neue Café

Sonntagnachmittag. Der pedestrian und ich haben wieder einmal die gigantischen Baustellen am Seetalplatz besichtigt. Jetzt stehen wir beim Bahnhof Emmenbrücke und hoffen, in der Nähe einen guten Kaffee zu bekommen. Allzu zuversichtlich sind wir nicht. Cafés sind lange Zeit nicht so die Stärke von downtown Emmenbrücke gewesen. Es gibt in der Gegend bloss eine hohe Dichte von Kebab-Lokalen und ein paar Büezer-Beizen. Und eine Tierfutterfabrik.

Aber jetzt hat sich etwas getan: Gleich vis à vis vom Bahnhof leuchten die Neonfarben eines Cafés. Sieht aus wie ein Kaffeehaus für ältere Damen, mit Nussgipfeln auf den Tischen und so. „Caffe Mlinar“ heisst es – ein merkwürdiger Name, denke ich. Aber interessant.


(Quelle: zentralplus.ch)

Wenig später sitzten wir im rappelvollen Lokal. Es ist tatsächlich ein Kaffeehaus. Aber ohne Nussgipfel – in den Körbchen liegen Böreks und andere Produkte aus Filo-Teig. Hier sitzen Alt und Jung, die Stimmung ist fröhlich. Ich finde es so spannend, dass ich für eine halbe Stunde glatt an meinen Ohren zu leiden vergesse. Und der Kaffee ist intensiv, ganz wie er mir mundet.

Emmenbrücke beginnt sich zu verändern. Es ist immer noch ein Moloch aus Fabriken, Verkehr und billigen Wohnungen. Hier leben immer noch die Büezer und die Migranten, aus Sri Lanka und Bosnien, aus Kosovo, Kroatien und der Türkei, aus Äthiopien und Eritrea. Nur auf den Hügeln drängen sich Einfamilienhäuschen, die den hiesigen Lehrern und ein paar Bauunternehmern gehören. Im neuen Café scheinen alle einen Treffpunkt gefunden zu haben. Und wenige Schritte weiter entsteht ein neues Stadtquartier.

Zu Hause google ich ein bisschen und stelle fest: Das Caffe Mlinar hiesse zu Deutsch Café Müller und gehört zu einer kroatischen Kaffeehauskette. Und es hat eine aussergewöhnliche Geschichte, bei der ein lokaler Spitzenfussballer eine wichtige Rolle spielt.

Besoffen

Normalerweise rettet mich Herr T. Wenn ich nicht mehr allein gehen kann, rufe ich ihn an. Dann holt er mich ab. Aber Herr T. ist auf Reisen. Ich muss mich diesmal selber retten. Herr Menière hat mir eben von hinten einen Stoss verpasst. Ich schaffte es, gegen das Mäuerchen am Wegrand zu torkeln. So bin ich wenigstens nicht der Länge nach auf den Asphalt geknallt. Ich stehe, aber vor mir dreht sich alles. Eine Drop Attack – auch Tumarkin-Anfall genannt.

Weit und breit keine Busstation, nicht einmal eine Strasse, sonst könnte ich’s mit einem Taxi versuchen. Ich schlucke ein Motilium gegen den Brechreiz und kämpfe mich den Hügel hoch, heimwärts, hangle mich von Mäuerchen zu Lattenzaun zu Treppengeländer. Wenn Leute kommen, bleibe ich diskret stehen. Ich will nicht, dass sie denken, ich hätte 2,4 Promille intus.

Ich schaffe es auf den Hügel hinauf, aber ich muss auch noch auf der anderen Seite hinunter. Und hinunter ist schwierig. Hinunter fühlt sich an wie freier Fall. Als drei Personen kommen, weiss ich: Ich muss jemanden um Hilfe bitten. Es sind zwei ältere Damen und ein junger Freak mit gedrehten Locken und einem Hund.

Ich wähle den Freak – die alten Damen sehen mir zu proper aus, propere Leute betrachten eine Krankheit oft als moralisches Versagen. Ausserdem ist schwer einzuschätzen, wie gut sie selber zu Fuss sind. Der junge Mann aber sieht schon von hinten aus, als ob er wüsste: Der Mensch ist manchmal Kräften ausgesetzt, für die er nichts kann. Ich rufe nach ihm.

Er reagiert sofort und lässt mich seinen Arm nehmen. Das reicht schon. Jetzt kann es abwärts gehen.

Mein Gott, wie er nach Alkohol riecht!

Aber er erweist sich als genau das, was ich gebraucht habe: Standfest und kein bisschen neugierig. Er macht ein paar Witzchen und erzählt, wie er sich bei einem Sturz über ein Mäuerchen die Fussknochen zersplittert hat – und dass diese Art Schwindel kennt. Er hätte die Kurve auch schon nicht gekriegt.

Er führt mich noch schnell vor meine Haustür, obwohl das gar nicht an seinem Weg liegt und ihm sein Fuss wehtut.

Vor meiner Haustür schüttle ich ihm dankend die Hand und schaue ihm zum ersten Mal in die Augen. „Kann ich etwas für Sie tun?“ frage ich und denke: Gleich wird er mich um Geld bitten. Aber er schaut mich nur an und schüttelt den Kopf. Er hat etwas merkwürdig Totes in den Augen.