Erster Impfbericht

Im ersten Halbjahr 2021 ist eine neue Textgattung entstanden: der Impfbericht. Er ist bei Leserbriefschreibern und Bloggerinnen äusserst beliebt. Darin schildert der Autor in der Ich-Form präzise das Prozedere, das er zwecks Immunisierung gegen Covid-19 absolviert hat. Das Traktat bezeugt den Stolz der Autorin darauf, dass sie den Pieks gewagt hat. Und fast immer die Freude darüber, persönlich das Gröbste an der Pandemie nun bald überstanden zu haben. In Leserbriefen werden oft noch ein paar Worte des Dankes an die zuständige Behörde angefügt. Die darin versteckte Botschaft an alle Leserinnen und Leser: „Hört auf, über die Regierung zu lästern! Sie kann es! Jedenfalls bei mir, Gottlob!“ Gelegentlich schwingt unausgesprochen die Aufforderung mit: „Lasst Euch auch impfen! Es ist einfach, schmerzlos und löst eine Menge Probleme.“ Ich habe mich schon gefragt, ob dieser Erzähldrang eine Nebenwirkung des Vakzins ist.

Hiermit schreibe ich jetzt auch einen Impfbericht, mit der Zeit vielleicht sogar einen mehrteiligen, ein Impf-Epos. Denn kaum hatte ich per E-Mail meinen ersten Impftermin erhalten, drängte es mich unwiderstehlich zum Schreiben. Erhöhtes Mitteilungsbedürfnis ist also doch keine Nebenwirkung des Serums.

Das Warten war eine Geduldsprobe, und, ja, ich hätte impfgedrängelt, wenn ich gekonnt hätte. Denn eins habe ich im vergangenen Jahr gelernt: Es gab einmal eine Zeit, da standen wir brav Schlange und glaubten, dass in absehbarer Frist alle für alles drankommen werden. Dieser Glaube gehört zur Kindheit der Boomer in der Schweiz. Drängeln war hier einst tabu, höchste Tugend der Gemeinsinn. Alles vorbei! Heute gilt: Ich erlaube mir alles, was nicht ausdrücklich verboten ist. Man nennt das, glaube ich, Eigenverantwortung. Oder Bürgersinn. Wie auch immer.

Mir fehlte das Vitamin B zum impfdrängeln. Ich bekam schliesslich ganz regulär einen Termin. Deshalb muss ich jetzt aufhören, denn gleich muss ich los. Mehr später!

8 Gedanken zu „Erster Impfbericht“

  1. Na, da bin ich ja gespannt auf das Impf-Epos! Habe die erste Teilimpfung schon hinter mir, es war kaum spektakulär. Die Schweizer haben mich zudem gelehrt, demütig zu bleiben: denn ich durfte trotzdem nur mit einer zehntägigen Quarantäne einreisen.

    1. Du musstest in eine zehntätige Quarantäne?! Krass. Man würde es nicht für möglich halten – hatten wir doch hierzulande zeitweise die europaweit höchsten Fallzahlen.

  2. Wenn ich in 1000 Jahren drankommen sollte, hoffe ich sehr, dass ich darüber KEINEN Bericht, geschweige denn einen Epos, verfassen werde 😉

    Aber ich habe mich köstlich über Deinen Prolog amüsiert und bin gespannt, wie es nun weitergeht.

    1. Danke Dir, Sori, für den Zuspruch! Ich wünsche Dir, dass Du bald an der Reihe bist! In Deutschland geht es hoffentlich auch bald vorwärts!

      1. Kleiner Hinweis: Ich habe mich schon vor mehr als 17 Jahren freiwillig ins Wiener Exil begeben.
        Aber ja, ich hoffe, dass ich in diesem Jahr einmal nach Deutschland fahren kann.

  3. Oh ja! Ein Epos. Ich freue mich darauf.

    Herzlich
    acqua,
    geimpft dank Glück bei der Auswahl der Arbeitgeberschaft aber ohne Nebenwirkungen – weder physisch noch literarisch

    1. Oh, Acqua!!! Ich freue mich, Dich hier wieder mal zu sehen! Gut, dass Du geimpft bist – ja, Du bist wohl an der Serumsquelle! Mal schauen, ob hier tatsächlich ein Epos draus wird. Es war doch sehr … normal (?) Aber einerlei! Sei herzlich gegrüsst und lass Dir sagen, dass mich Deine Blumensamen letztes Jahr durch den ganzen Sommer begleitet haben. Mein Liebling: die Jungfer im Grünen. Soeben erstgeimpft und sehr herzlich! Frau Frogg

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