Schweizerdeutsch 29: Zeit verplempern

tämpele (V) (auch: tämperle)

Standarddeutsch: Zeit vertrödeln (absichtlich oder einfach so);

Nicht viel los im Büro im Moment. Man hätte Zeit, vor dem Aufbruch noch ein paar sinnvolle Dinge zu erledigen. Aber erst mal noch im Pyjama per E-Mail dem Sekretariat mitteilen, dass man später kommt. Dann den Geschäfts-Posteingang checken und die News online. Kaffee trinken und Zeitung lesen, man liest wieder gründlicher Zeitung als auch schon. Dann nochmals ein Blick in die Geschäftsmails. Duschen gehen wollen. Aber zuerst noch ein bisschen auf X scrollen, dann mit Herrn T. plaudern. Die Kaffeepflanze giessen, sie lässt wieder die Blätter hängen. Im Bad eine kleine Hautunebenheit im Gesicht untersuchen, die Härchen am Kinn auszupfen. Eine leere Shampooflasche im Altplastik entsorgen. Nochmals kurz mit Herr T. plaudern, ach, planen wir doch gleich noch den Filmfestivalbesuch vom Samstag. Endlich duschen. Danach mehr Sorgfalt als üblich bei der Kleiderwahl. Noch eine Notiz ins Tagebuch und, huch! Schon ist es Zeit zum Aufbruch!

Schweizerdeutsch 19: Maschinenschreiben

Süschtem Adler

Standarddeutsch: System Adler

Erläuterung: 1971 brachte mein Vater eine riesige, uralte Hermes-Schreibmaschine von der Post mit. Er schenkte sie meiner Mutter, denn diese wollte das Zehnfingersystem lernen. Sie schrieb immer noch im „Süschtem Adler“, wie mein Vater sagte. „Was heisst das, Süschtem Adler?“ fragte ich, damals sechs Jahre alt. Mein Vater: „Das heisst, dass man den Zeigefinger über der Tastatur kreisen lässt wie ein Adler, der nach Beute Ausschau hält. Bis man den richtigen Buchstaben endlich gefunden hat. Dann stösst man den Finger in die Tiefe.“

Im Namen aller Mütterchen in Beige

In den Jahren zwischen 50 und 59 fühlte ich mich beinahe sicher vor den  ungebetenen Tipps irgendwelcher Lifestyle-Päpstinnen. Aber kaum rückt der 60. Geburtstag näher, diskutieren wir plötzlich über Longevity oder über die Frage: Was heisst gut altern?

Neulich las mir Herr T. eine Passage des Buches „Altern“ von Elke Heidenreich vor, die ich selbst gnädig überlesen hatte. Die 81-jährige Autorin schreibt: „Ich sehe um mich herum Frauen, die anders altern als ich, und manchmal, wenn nach Lesungen eine Frau beim signieren zu mir sagt: ‚Wir sind derselbe Jahrgang‘, und ich sehe hoch, und da steht ein zerknittertes Mütterchen in beigen Omaklamotten, dann denke ich: Nee, jetzt, oder? Das bin nicht ich.“*

Sofort empörte sich mein Herz für alle „Mütterchen in beige“, obwohl ich selbst kein einziges beiges Kleidungsstück besitze. Ich wurde richtig laut und sagte schliesslich das, was ich zu Fragen des Kleidungsstils schon mein ganzes Leben lang sage: „Jede und jeder lebt nach bestem Wissen und Gewissen sein bestmögliches Leben!“ Mit 59 Jahren Lebenserfahrung würde ich einräumen, dass es gierige und zynische Menschen gibt. Aber die erkennt auch die Lifestyle-Päpstin nicht unbedingt an der Farbe der Bekleidung.

*Elke Heidenreich: „Altern“, Hanser Berlin, 2024, S. 62. Um eins klarzustellen: Ich möchte keiner Person die Lektüre vergällen, die das Buch vielleicht bald lesen wird. Es stehen auch einige sehr gute Dinge drin!

Dinard: Entscheiden, was wichtig ist

Bei der Villa links im Bild handelt es sich sehr wahrscheinlich um eine Sommerresidenz von Pablo Picasso. Ich werde es wohl nie mit Sicherheit wissen. Wir setzten die Prioritäten anders.

Unser Bretagne-Reiseführer preist das Städtchen Dinard als „Spielwiese der Bohème“, auch Pablo Picasso kam 1922 und 1928 hierher. „Während sich Ehefrau Olga um den gemeinsamen Sohn kümmerte, vergnügte sich Picasso in Dinards Strandkabinen mit der 17 Jahre alten Marie Thérèse Walter.“* 1922 habe Picasso auch in der Villa Les Roches brunes residiert, die eine atemberaubende Aussicht habe und heute gelegentlich Ausstellungen.

Das lasen wir, bevor wir uns mit dem Boot von St. Malo nach Dinard übersetzen liessen. Hier hätte Frau Frogg gerne diese Picasso-Villa genau geortet, wäre überhaupt gerne durch das Städtchen Dinard flaniert, in dem laut Reiseführer 400 denkmalgeschützte Villen der Belle époque stehen. Aber Herrn T. stand der Sinn nach einem ausgedehnten Spaziergang entlang der Küste zurück nach St. Malo, mit Überquerung des Flusses Rance beim berühmten Gezeitenkraftwerk.

Mir hätten die Kräfte nicht für beides gereicht, und das Gezeitenkraftwerk interessierte auch mich. Ich beerdigte mein Projekt Dinard, zog mit Herrn T. durch lichte Wälder, dem Meer entlang. Meine Kräfte reichten dann gerade so bis zum Kraftwerk. Dort brodelte unter unseren Füssen die hereinkommende Flut durch die Turbinen wie ein vergessener Ehestreit.

Zum Attentat auf Donald Trump bitte bei piri nachlesen, ich unterschreibe jedes Wort.

*Manfred Görgens: „Bretagne“, DuMont Reise-Taschenbuch, 2., aktualisierte Auflage 2022, S. 68.

Aperol Spritz intravenös

Chemotherapie sieht irgendwie ganz entspannt aus: Man sitzt in einem Lehnstuhl und von oben werden einem verschiedene Flüssigkeiten aus Beuteln in die Venen geträufelt. Ich bekomme Epirubicin und Cyclophosphamid und, nein, ich habe beide Medikamente nicht gegoogelt. Ich google nur das Nötigste, das ist eine Art Selbstschutz vor zu viel Krankheit. Eine der Flüssigkeiten ist orange. „Die Farbe von Aperol Spritz“, sagte Herr T., der neben mir auf der Fensterbank sitzt und zuschaut. Aperol Spritz trinken wir jeweils freitags, ein fröhliches Ritual zum Wochenabschluss. Im Moment geht das nicht, im besten Fall genehmigen wir uns ein Cüpli.

Herr T. hilft, wo er kann, meist ohne zu motzen. Er kommt mit mir mit ins Spital, wenn es nötig ist – fast immer. Er hilft mir, die Ärztinnen und Ärzte zu verstehen. Aber ich beginne mich zu fragen, ob ein Mann eine Frau lieben kann, die ihren Aperol Spritz schon am Mittwoch und intravenös verabreicht bekommt.

Ich bin viel zu Hause und arbeite im Homeoffice. Meinem Chef, der mir das verdammte Schneckenhaus aufgesetzt hat, bin ich jetzt dankbar. Es läuft recht gut hier. Bei der Arbeit muss ich meine Kräfte vorsichtig einteilen. Meist fühle ich mich tiptop, aber manchmal kommt die Müdigkeit wie eine Wand. Wenn schwierige Kunden sich melden oder ein mühsamer Vorgesetzter, wird mir kurz übel. Der grösste Teil meiner Energie geht in die Büroarbeit, deshalb schreibe ich hier so wenig. Noch habe ich meine Haare, es fallen mir nur auffallend viele Augenbrauen aus. Am Nachmittag kommen oft Freunde vorbei, und wir haben Spass.

Sex, Kaffee und der Klimaexperte

Simpel und praktisch: Die Bialetti-Kaffeemaschine (Quelle: blasercafe.ch
Meine Nespresso-Kaffeemaschine ist kaputt. Wir haben eine alte Bialetti in Betrieb genommen und diskutieren beim Frühstück über die Vorzüge und Nachteile verschiedener Kaffeemaschinen und des Kaffeetrinkens. „Kaffeetrinken ist ganz schlecht für’s Klima“, sagt mein Ehemann, der Klimaexperte. „Eine Tasse Kaffee verbraucht so viel CO2 wie ein Kilometer autofahren.“

Ach Gott, alles wird verboten, denke ich und maule: „Du Spielverderber! Ich habe doch damit gerechnet, dass das nach dem Fleisch als nächstes kommt! Wahrscheinlich kommt bald jemand und sagt: ‚Sex ist schlecht für’s Klima.'“

Darauf Herr T., ohne mit der Wimper zu zucken: „Sex ist nicht schlecht fürs Klima, aber Kinderkriegen schon!“

Ich lache schallend. Am Nachmittag finde ich auf der Suche nach einem Nachthemd bei C&A ein Teil mit dem Aufdruck: „This Girls Needs More Coffee“. Das kaufe ich sofort, auch wenn Konsumieren auch schlecht fürs Klima ist.