Vor zwei Jahren schenkte ich mit meinem Gottenbuben Tim zum 16. Geburtstag einen Ausflug an den Lungerersee. Das ist jetzt für Teenager keine ganz so megageile Destination. Aber da war er schon zu einem sympathischen Teenager geworden, tiptop gestylt, mit dem sich auch leidlich plaudern liess. Ich war sehr angetan von ihm und fragte beiläufig: „Sag mal, es dauert ja jetzt nicht mehr so lange, da wirst Du 18. Was wünschst Du Dir denn dann?“ Er sagte: „Ich möchte mit Dir nach London.“
Gotte Frogg strahlte. Ich meine, mein Gottenbub will mit mir nach London! Gibt es etwas Besseres? Und das Beste ist: Wahrscheinlich klappt es. Das Glück hat uns eine gemeinsame Ferienwoche in die Agenda gezaubert.
Vor zwei Wochen hatten wir eine erste Planungssitzung. Wir werden zu viert sein. Herr T. und Tims grosse Schwester Julia kommen mit. Meine ersten Gedanken galten meiner Aufgabe, es allen recht zu machen. Und ich wusste nicht so recht, woher Tims Wunsch kam, mit mir nach London zu reisen. Etwa von seiner Mama Veronika, mit der ich vor 15 Jahren eine Reise dorthin gemacht habe (hier eine Geschichte, die ich mit nach Hause brachte)? Damals begleiteten uns unausgesprochene Diskussionspunkte über unsere Freundschaft und unsere Art zu reisen. Vielleicht erwartet sie heute, dass ich ihrem Sohn etwas für’s Leben mitgebe.
Mich treibt die Frage um, was die Jungmannschaft begeistern könnte. Die Wünsche sprudelten: „The London Eye! Madame Tussaud’s!“ Stadtgeograf T. guckte gelangweilt und machte seine eigenen Pläne geltend. Ich sprach: „Ok. Dann machen wir einen Tim-Tag, einen Herrn T.-Tag und einen Frau Frogg-Tag.“ Julia erwähnte eigene Pläne, aber es sieht so aus, als wäre sie dann auch viel bei uns. Wäre schön. Wir schmiedeten Sightseeing-Pläne kreuz und quer durch die Stadt.
Doch etwas an dieser Ausgangslage liess mich merkwürdig leer. Junge Leute erwarten heute, von Sensation zu Sensation geführt zu werden, keine Frage. Ich werde dafür bezahlen, auch keine Frage. Aber bin ich denn nur die Zahlgotte? Mir fehlte … das Herz dieser Stadt, in die ich in jungen Jahren wieder und wieder gereist bin, die mich gebildet hat wie keine zweite, nicht einmal meine eigene. Diese Stadt, die ein Jahrzehnt lang das Zentrum meiner Welt war. Was kann man von diesem Wissen, dieser Stadt, diesem Glück weitergeben?
Wo liegt das Herz von London? Und heute Morgen fiel es mir ein: Das Herz von London liegt vor dem Bahnhof von Charing Cross. „Dorthin müssen wir zuerst gehen, damit wir uns überhaupt orientieren können“, sagte ich zu Herrn T. Er lächelte, etwas geringschätzig, wie mir schien. „Wie willst Du jungen Leuten erklären, was an einem Bahnhof so interessant sein soll?“ sagte er.
Ich sah ihn an, rang nach Worten, in meinem Kopf drängelten sich die Gedanken plötzlich wie die Menschen am besagten Bahnhof zur Rush Hour. „Ich muss es den beiden halt erzählen“, sagte ich. Aber wie? Ich werde es herausfinden müssen. Zu diesem Zweck werde ich jetzt in meinen nächsten Blog-Beiträgen die umherwimmelnden Gedanken auseinandernehmen, jeden auf seinen Weg schicken und mir überlegen, ob und wie er bei Tim und Julia ankommen könnte.
Es wird Dir wohl nicht helfen, aber ich fühle mit Dir. Ich habe momentan ähnliche Baustellen. Vielleicht finden sich Erlebnisse oder Orte, die in der Jugend eine ähnliche Prägung hinterlassen, bei der Du einhaken kannst. Oder es hilft ein offenes Gespräch, in dem man versucht, eine Art emotionales Sightseeing zu verhandeln?
Nun ja, ich würde es jetzt nicht unbedingt eine Baustelle nennen, dafür freue ich mich zu sehr auf die Reise. Aber ein bisschen nachdenken muss ich schon. Die Idee mit dem emotionalen Sightseeing – spannend und etwas, was sich vielleicht von selbst ergeben wird. Hast Du diesen Baustellen wegen Kirby? Ihm gefällt es irgendwann sicher, dass sein Papa seine Denkgewohnheiten so in Frage stellt 🙂
„Baustelle“ war eine unglückliche Wortwahl. Die Reise erinnert mich daran, als meine Großeltern mich nach England mitnahmen—aber da seid Ihr reifer.
(Ich hab da zwei Baustellen: zu versuchen die Jugend am Arbeitsplatz zu verstehen, dort mache ich den professionellen Papa;
bei Kirby ist das „Problem“, dass er mich wohl jung verliert, und ich nicht sicher sein kann, dass all meine Notizen ihm auch nutzen.)
Du machst bei der Jugend am Arbeitsplatz den professionellen Papa! Das ist eine köstliche Formulierung, und ich versuche gerade, sie mit dem jungen Typen zur Deckung zu bringen, den ich damals vor der Tür des Stephansdomes kennengelernt habe!
Ich hoffe nicht, dass Kirby seinen Papa jung verlieren wird und wünsche Dir möglichst gute Gesundheit für eine lange, lange Zeit! Ich weiss nicht, ob jungen Menschen Notizen nützen, aber ich weiss aus eigener Anschauung, dass gut gemeinsam verbrachte Zeit nützt, ein gutes Beispiel, ernst genommen werden, solche Dinge. Ich habe einen guten Freund, der vor wenigen Jahren um ein Haar von einem Herzinfarkt weggerafft worden wäre. Er war seinem Sohn mal ein gutes Vorbild, mal vielleicht auch ein nörgelnder Papa – aber es hat etwas gebracht. Der Junge ist stark und gut beieinander.
Da bin ich gespannt, auf deine nächsten Einträge sowie auf die Berichte vom Trip selber. London ist auch meine Herzensstadt, ich weiß aber nicht, ob man so etwas einem anderen überhaupt richtig vermitteln kann, was genau diese Gefühle für einen selbst auslöst. Ich würde mich wohl auch eher aufs klassisch Touristische konzentrieren, wenn es das erste Mal für die andere Person ist, und ein paar einzelne persönliche Highlights einbauen. Wenn man sich darauf einstellt, dass das Individuelle möglicherweise nicht oder nur im Ansatz transportiert werden kann, erspart man sich vielleicht Enttäuschung. Und gleichzeitig machen die Jungen ja bestimmt auch ihre Erfahrungen und sicher ihr auch gemeinsam neue 🙂
Ja, da hast Du sicher recht, und das klassisch Touristische wird genügend Raum bekommen. Ich finde aber auch (oder hoffe zumindest), dass sie mit mir nach London wollen, weil ich mich dort eben leidlich auskenne und in einem gewissen Sinn auch eine Verbindung dazu habe. Was sie wirklich interessiert, werde ich dann herausfinden. Und wenn nichts von dem, was ich zu erzählen habe, sie so richtig begeistern sollte, dann halte ich das alles wenigstens hier memoirenartig fest.