
Letzte Woche verbrachten Herr T. und ich ein paar Tage in Wien. Wieder wurde mir klar, warum ich diese Stadt so liebe: wegen ihrer schieren Grösse und ihrer Unübersichtlichkeit; wegen ihrer wechselhaften, auch düsteren Geschichte; wegen ihres Prunks, den sie nicht ohne Selbstironie zur Schau stellt; wegen ihrer Schäbigkeit, Nonchalance und ihres dunklen Humors, der – mal sarkastisch, mal mit trunkenem Weltgelächter – auch unappetitliche Dinge benennt. Ich meine: Wo sonst reisst man Witze über die Strasse, die zum Friedhof führt (hier der Rennweg)? Ihn «hat Alfred Polgar als ausgestreckten Darm Wiens bezeichnet – ergiessen sich doch durch ihn alle Ausscheidungen der Stadt in Richtung Zentralfriedhof.» (S. 225). Oder über die würdigen, heute von der Welt meist ignorierten Statuen vor Repräsentativbauten? In Wien weiss man noch um ihre Bedeutung: «Warum Pallas Athene, die Göttin der Weisheit, vor dem Parlament steht, weiss jeder Wiener: Sie traut sich nicht hinein.» (S. 150).

Wo sonst hat Kritik am wachsenden Autoritarismus derart augenfällige künstlerische Intelligenz? Nehmen wir das Denkmal an die Eroberung Wiens durch die Rote Armee, das Josef Stalin 1945 gestiftet hat. Hinter der monumentalen Marmorkolonnade befindet sich dort ein Mäuerchen, in auffälligen Farben bemalt (siehe Bild, hier mehr über das Kunstwerk). Oder den Park bei der Votivkirche. Dort steht ein granitener Tisch mit einem Stuhl für jeden der zehn bei der ersten Osterweiterung 2004 beigetretenen EU-Staaten – die Namen sind am Stuhlrücken eingraviert: Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Slowenien, Malta, Zypern und … halt, bei einem Stuhl ist der Rücken abgerissen, er ist namenlos. Nach einigem Rätselraten sind wir sicher: Das wäre der Stuhl Ungarns. Kunst oder Vandalismus? Egal. Jemand will hier, dass Ungarn unbequem sitzt.
Und dann lieben wir Wien wegen der p. t. Nimis, unserer alten Freunde, Frau Nimi war einst geschätzte Mitbloggerin. Herr Nimi ist mit den Jahren dazugekommen. Beide sind begnadete Kulinariker und haben uns nach Strich und Faden verwöhnt. Danke Euch beiden!
Zitate sind aus Beppo Beyerl: „Wien und Umgebung“, Reise Know-How Verlag Peter Rump, Bielefeld, 5., komplett aktualisierte Auflage 2004.














